Sonntag, 28. März 2010
Redensarten
An einer Unart können Reisende sofort merken, in welchem Land sie gelandet sind: In Australien ist es nämlich völlig normal, von wildfremden Leuten gekumpelt zu werden. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird man mit mate angesprochen. Nicht unbedingt im Kloster, aber sonst überall. Selbst Damen können keineswegs sicher sein, nicht allerorten "gemated" zu werden.

Ähh, das stimmt sicherlich auch, aber ich beschreibe das besser mal so: Selbst Damen sind vor Kumpelei nicht sicher. Ein freundliches "G'day mate" gibt hernach keinen Anlass mit Ingrimm auf noch nicht bestehende freundschaftliche Beziehungen hinzuweisen. Mancher beliebt aber zu übertreiben und baut in beinahe jeden Satz ein mate ein.

Noch nerviger finde ich das mindestens ebenso häufig gebrauchte "no worries", das hier meist für "kein Problem", "gern geschehen" oder "nicht der Rede wert" gebraucht wird, ansonsten Satzlücken auffüllen hilft, wo "fuckin'" oder "bloody" gerade nicht passen, meistens aber schlicht gar nichts bedeutet. Das kann einem auf Dauer gewaltig auf den Puffer gehen.

Man stelle sich einmal folgendes Gespräch vor:

Urlauber: "Guten Tag ..."

Mechaniker: "Tach Kumpel, wie geht's denn so?"

Urlauber: "Och, sonst ganz gut, danke der Nachfrage, aber ich habe da ein Problem mit meinem Wagen. Eine Umlenkrolle des Keilriehmens eiert plötzlich und ich habe da auch einen kleinen Riss gesehen. Nicht auszudenken, wenn die Rolle mitten in der Pampa ..."

Mechaniker: "Mach' dir keine Sorgen, Kumpel, lass' mich mal sehen, Kumpel."

Urlauber: "Da irgendwo war der Riss"

Mechaniker: "Ah ja, mach' dir keine Sorgen, das kann noch für fickende Jahre halten, Kumpel, und wer weiß, wie lang der Riss schon da ist."

Urlauber:: "Naja, ich bin schon ein stückweit beunruhigt. Mir ist das ja nur deshalb aufgefallen, weil ich das Eiern der Rolle plötzlich auch hören konnte. Da muss sich also was verändert haben!"

Mechaniker: "Okay, Kumpel, mach' dir keine Sorgen, da muss ich mal anrufen, ob ich das blutige Ersatzteil bekomme, Kumpel."

Urlauber: "Gut, aber sie müssen wissen, dass ich auf der Durchreise bin. Daher wäre es wichtig, dass das Ganze möglichst bald ..."

Mechaniker: "Mach' dir keine Sorgen, Kumpel, ..."

Urlauber:: " Doch, ich bin ja gerade hier WEIL ich mir Sorgen mache und auch nicht wochenlang auf Ergebnisse warten kann ..."

Mechaniker: "Jau, alles gut, Kumpel, mach' dir keine Sorgen, ..."

Sein Tod trat schnell und überraschend ein.

Mir fällt es jedenfalls schwer, die eigentliche Bedeutung der Worte zu ignorieren. Interessant wäre das auch im Krankenhaus: "Alles klar, Kumpel, wir amputieren dir jetzt beide Beine, mach' dir keine Sorgen ...".

Zur Begrüßung könnte der gemeine Australier nun nicht nur G'Day sagen, sondern als Ergänzung oder auch als Antwort auf ein G'Day im Vorbeigehen ein "how are you going", vielmehr ein "how ye goin'?" absondern. Wie bei dem us-amerikanischen Equivalent "how ya doin'?" will auch hier niemand eine echte Antwort auf diese Begrüßungsfloskel hören.

Was soll das dann? Wenn die so weiter machen, dann ist irgendwann mal einer von denen fällig: "G'day mate, how ye goin'?" "Ach, schön dass du nachfragst, Kumpel, eigentlich geht es mir nämlich nicht so gut. Seit Tagen habe ich diese Verstopfung, begleitet von wirklich üblen Blähungen, weißt du, Kumpel? Ich habe mir schon mehrere Darmspülungen verpassen lassen, eine Höllensauerei, sage ich dir, aber es ist bisher nicht besser geworden. Und dazu noch mein offener Rücken, der seit Monaten nicht heilen will. Mein lieber Scholli, ich kann dir sagen, wenn da mal der eitrige Verband gewechselt wird, rollen sich einem die Fußnägel hoch bei dem Gestank! Apropos Fußnägel ...". Beim nächsten Aufeinandertreffen wird der Kerl sich gründlich überlegen, ob er mich wirklich fragen will, wie es mir geht.

Ich fürchte nur, es wird bei dieser köstlichen Vorstellung bleiben, weil ich es im entscheidenden Moment nicht schaffe, das bis zum Ende durchzuziehen. Immerhin gebe ich mittlerweile im Falle eines how ye goin' nur noch ein "wuhuuu-wuff" von mir. Inhaltlich sind die Aussagen identisch, aber ich kann dem Geschwafel auf diese Weise wenigstens etwas Lustiges abgewinnen. Ob die Angekläfften das genauso sehen, ist mir dabei schnurzpiepenhagen.

Schade, das die Neuseeländer jetzt auch schon mit dieser ermüdenden Floskelei anfangen.

Ich bin jedenfalls heilfroh, dass es im Deutschen derart sinnlose und nervige Phrasen nicht gibt, wie ein nicht unbekanntes Nachrichtenmagazin schon vor geraumer Zeit bewiesen hat: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,340869,00.html

Eine kleine Anekdote zum Schluss:

Die Tage (sic!) gehe ich in einen Elektrowarenhandel, um ein dringend benötigtes Accessoire zu erstehen. Ich bin froh das Teil endlich gefunden zu haben und stelle mich an der Kasse an. Die Kassiererin verabschiedet mich allsbald mit einem freundlichen "enjoy".

Ich blicke begeistert auf meinen soeben erworbenen Steckdosenadapter und entgegne dann grinsend: "Naja, öhm, ..." Da musste sie aber selbst lachen. Sie hätte das so dahingesagt. Eben. Genau hier müsste jetzt der Umlernprozess einsetzen, um künftig derlei Plattitüden zu vermeiden. Ich fürchte allerdings, dies ist ganz allgemein genauso unwahrscheinlich wie der Weltfrieden. Immerhin ist der Weltfrieden ein größeres Problem als sprachliche Floskeln, das sehe ich ja ein.

Also dann, tschö mit ö.