Mittwoch, 23. Dezember 2009
Tag 7
cia, 11:44h
Zwischenzeitlich habe ich die Abläufe der Essensaufnahme halbwegs durchschaut: Das Dinner wird hier stets um 12:15 Uhr serviert. Die irreführende Bezeichnung geht auf den ursprünglichen Begriff aus England zurück, der die Hauptmahlzeit des Tages beschrieb, und zwar das Mittagessen. Im meinem Wörterbuch steht unter Dinner tatsächlich "Mittagessen". Unter Mittagessen finde ich allerdings "lunch". Und unter Abendessen steht dann "dinner". Unverkennbar haben die Langenscheidts mit den Entwicklern des hiesigen Münztelefons bei gemeinsamen Projekten Hand in Hand gearbeitet.
Direkt nach dem Gebet in der Kapelle eilen Mönche und ausgewählte Co-Beter die Treppe herunter, um durch eine Tür Richtung Refektorium zu verschwinden. Nichtbeter, die Bescheid wissen, warten unten vor der Tür genau auf diesen Moment und reihen sich artig in den Zug ein. Am ersten Abend war ich genau an diesem Punkt gescheitert. Das Zeitfenster für die berühmte "Abholung" ist ausgesprochen knapp bemessen. Im Refektorium angekommen, verteilen sich alle und bleiben zunächst vor ihren Plätzen stehen. Abt und Stellvertreter stehen dabei an der Tafel am Ende, links und rechts die Mönche, Novizen, Postulanten sowie engere Mitarbeiter, und an der mittleren Tafel stehen die Gäste.
Refektorium
Nach einem kurzen Gebet ist man gehalten sich zu setzen. Dann läutet der Abt eine kleine Glocke und die Gesellschaft lauscht dem Tischleser, der von seinem Pult das heutige Lesepensum verkündet. Dann läutet der Abt erneut und erst jetzt darf man die Servietten ausbreiten sowie die Gläser umdrehen, um diese gegebenenfalls zu füllen. Als Füllmittel stehen Wasser, selbstgemachte Zitronenlimonade und pro Person je ein Schoppen Rotwein nicht nur auf dem Tisch sondern auch zur Auswahl. Gleichzeitig wird der erste Gang hereingefahren. Die Servierarbeit erledigen Mönche und Mitarbeiter im Rotationsverfahren. Zuerst dürfen sich Abt und Stellvertreter, dann die Gäste und danach die Übrigen vom Brot aus der eigenen Bäckerei und anschließend von der reih'um dargebotenen Suppe nehmen.
Die Mahlzeiten werden dabei grundsätzlich schweigend eingenommen. Währenddessen liest ein Tischleser geistliche Literatur, Abschnitte aus der Ordensregel und Ähnliches vor. Sonntags gibt es als variatio klassische Musikstücke zu hören. Das Essen selbst ist abwechslungs-reich und eine deutliche Steigerung zu meiner sonstigen Reisekost.
Bei der eigentlichen Nahrungsaufnahme ist jahrelanger elterlicher Feinschliff dann eher hinderlich: Sowie das Essen auf dem Teller liegt, muss man so schnell wie möglich alles in sich hineinschaufeln, sonst reicht die Zeit einfach nicht. Anderen zuerst ein Getränk einzuschenken, Damen und Älteren den Vortritt zu lassen oder mit dem Essen auf alle zu warten ist im Refektorium unüblich, denn nicht lang, nachdem der Letzte sich genommen hat, wird beim Ersten schon wieder abgeräumt. Und ist beim Letzten abgeräumt, kommt kurz darauf schon der zweite Gang hereingefahren.
Erneut werden diverse Sättigungsbeilagen und das Hauptgericht herumgereicht, im Affenzahn verputzt und wieder abgeräumt. Da ist kaum Gelegenheit, sich mit dem Rotwein schön einen 'reinzubügeln und alkoholisch auf das nachfolgende Mittagsschläfchen vorzubereiten. Ich müsste die Gläser schon auf Ex trinken, um den Drittelliter überhaupt einmal leeren zu können. Dieser Gedanke ist noch noch ganz zuende gedacht, da wird auch schon das Dessert aufgetischt.
Es bleibt daher selten Zeit, den Mundinhalt jeweils regelkonform zu zerkauen. Irgendjemand steht immer hinter mir - entweder um Essen zu reichen, Teller abzuräumen oder um zu warten, bis ich fertig gegessen habe. Es gelingt mir gut, das gar nicht zu ignorieren und ich frage mich, ob es den Herrn nach menschlicher Stopfleber gelüstet. Gewohnt, in der vergleichbaren Geschwindigkeit zu essen, mit der Koalas tagsüber flüchten, bleiben mir nur zwei Optionen: Entweder die Teller äthiopisch füllen oder die jeweiligen Portionen ohne zu kauen als Ganzes herunterschlingen und sowohl Magen als auch Rectum zu bitten, sich erst später zu beschweren. Der Magen trägt's bisher erstaunlich gelassen, das Rectum dagegen ruft nach der nächsten Klimakonferenz. Und mit jeder Mahlzeit komme ich dem Heiligen Stuhl ein Stückchen näher.
Ist der letzte Teller abgeräumt, läutet der Abt wieder die Glocke und alle stehen auf, um hinter ihren Sitzplätzen Aufstellung zu nehmen. Es schellt noch einmal und der Tischleser singt oh Lord have mercy on us, was alle, außer anwesenden Atheisten, prompt mit einem aaaamen quittieren. Abschließend folgt noch ein kurzes Gebet durch den Abt und endet beispielsweise mit " ... and now that you have restored our strength, help us to serve you until the day ends. Amen".
Dann verschwinden sofort alle, als sei der Pontifex persönlich mit dem Klingelbeutel hinter ihnen her. Ein Mönch aber bleibt und lädt die Gäste noch auf einen Kaffe oder einen Port ein. Für mich eine der seltenen Gelegenheiten, überhaupt einmal mit Mönchen sprechen, da diese ansonsten schwer beschäftigt sind und zudem von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens schweigen. Meine Arbeit erledige ich jetzt immer vormittags, um der nachmittäglichen Hitze zu entgehen und nach dem Portwein Muße für ein anschließendes Nickerchen zu haben.
Das Abendessen wird hier Tea genannt und wochentags um 19 Uhr, sonntags um 18.30 Uhr eingenommen. Die Bezeichnung reizt mich nicht einmal mehr zu einem angemessenen Kommentar - was ich kaum glauben kann. Der Ablauf ist fast dergleiche wie mittags. Es gibt jetzt allerdings kein richtiges Dessert mehr, sondern bloß etwas Obst auf die Kralle. Mit der necrology fröhnen die Mönche zudem einer schönen Sitte, bei der sie am Ende jedes Abendmahls ihrer Benediktinerbrüder gedenken, die am folgenden Tag in den vergangenen 150 Jahren weltweit verstorbenen sind und dazu vom Tischleser sämtlich namentlich genannt werden.
Da bin ich doch froh, in der Schule Alt-Griechisch gehabt zu haben. Das hilft mir jetzt enorm weiter. Ohne das wäre ich nie darauf gekommen, dass das Wort necrology etwas mit dem Tod zu tun hat. Latein als erste Fremdsprache war ja sowieso ein Gottesgeschenk. Ich würde ansonsten kein Wort verstehen, wenn die Klösterlichen hier so am herummönchen sind. Nach all den Jahren hat das Sitzenbleiben endlich einen Sinn bekommen.
Dann fehlt nur noch das Frühstück, das sie doch tatsächlich Breakfast nennen, obwohl es beispielsweise Lunch heißen müsste, wenn man der bisherigen Logik folgt. Die Mönche bleiben dabei in einem Vorraum des Refektoriums unter sich und zwingen mich ausgerechnet diese Mahlzeit im Frühstücksraum der normalen Gäste einzunehmen. Herrgott hilf! Gerade morgens wäre mir das Schweigegebot am Wichtigsten. Und von "normal" kann bei diesen Gästen sowieso keine Rede sein. Also mache ich mir in Windeseile Toasts und Müsli und verbarrikadiere mich sofort wieder in meiner Stube, wo ich in Ruhe essen und aufwachen kann.
Leser mit katholischem Durchblick müssten in der obigen Schilderung eigentlich über die Verknüpfung "Refektorium" und "Damen" gestolpert sein. In der Tat war dies bisher ein Ding der Unmöglichkeit. Nach seiner Wahl hat seine Pestilenz, Abt John, aber ein paar der starren Vorschriften etwas aufgeweicht und nun auch Weibsvolk in den Saal zugelassen.
Wenn dann gelegentlich noch ein paar scharfe Nonnen auf einen Ausritt vorbeikämen, wäre das Leben als Mönch für Viele vielleicht nicht mehr so unattraktiv.
Direkt nach dem Gebet in der Kapelle eilen Mönche und ausgewählte Co-Beter die Treppe herunter, um durch eine Tür Richtung Refektorium zu verschwinden. Nichtbeter, die Bescheid wissen, warten unten vor der Tür genau auf diesen Moment und reihen sich artig in den Zug ein. Am ersten Abend war ich genau an diesem Punkt gescheitert. Das Zeitfenster für die berühmte "Abholung" ist ausgesprochen knapp bemessen. Im Refektorium angekommen, verteilen sich alle und bleiben zunächst vor ihren Plätzen stehen. Abt und Stellvertreter stehen dabei an der Tafel am Ende, links und rechts die Mönche, Novizen, Postulanten sowie engere Mitarbeiter, und an der mittleren Tafel stehen die Gäste.
Refektorium
Nach einem kurzen Gebet ist man gehalten sich zu setzen. Dann läutet der Abt eine kleine Glocke und die Gesellschaft lauscht dem Tischleser, der von seinem Pult das heutige Lesepensum verkündet. Dann läutet der Abt erneut und erst jetzt darf man die Servietten ausbreiten sowie die Gläser umdrehen, um diese gegebenenfalls zu füllen. Als Füllmittel stehen Wasser, selbstgemachte Zitronenlimonade und pro Person je ein Schoppen Rotwein nicht nur auf dem Tisch sondern auch zur Auswahl. Gleichzeitig wird der erste Gang hereingefahren. Die Servierarbeit erledigen Mönche und Mitarbeiter im Rotationsverfahren. Zuerst dürfen sich Abt und Stellvertreter, dann die Gäste und danach die Übrigen vom Brot aus der eigenen Bäckerei und anschließend von der reih'um dargebotenen Suppe nehmen.
Die Mahlzeiten werden dabei grundsätzlich schweigend eingenommen. Währenddessen liest ein Tischleser geistliche Literatur, Abschnitte aus der Ordensregel und Ähnliches vor. Sonntags gibt es als variatio klassische Musikstücke zu hören. Das Essen selbst ist abwechslungs-reich und eine deutliche Steigerung zu meiner sonstigen Reisekost.
Bei der eigentlichen Nahrungsaufnahme ist jahrelanger elterlicher Feinschliff dann eher hinderlich: Sowie das Essen auf dem Teller liegt, muss man so schnell wie möglich alles in sich hineinschaufeln, sonst reicht die Zeit einfach nicht. Anderen zuerst ein Getränk einzuschenken, Damen und Älteren den Vortritt zu lassen oder mit dem Essen auf alle zu warten ist im Refektorium unüblich, denn nicht lang, nachdem der Letzte sich genommen hat, wird beim Ersten schon wieder abgeräumt. Und ist beim Letzten abgeräumt, kommt kurz darauf schon der zweite Gang hereingefahren.
Erneut werden diverse Sättigungsbeilagen und das Hauptgericht herumgereicht, im Affenzahn verputzt und wieder abgeräumt. Da ist kaum Gelegenheit, sich mit dem Rotwein schön einen 'reinzubügeln und alkoholisch auf das nachfolgende Mittagsschläfchen vorzubereiten. Ich müsste die Gläser schon auf Ex trinken, um den Drittelliter überhaupt einmal leeren zu können. Dieser Gedanke ist noch noch ganz zuende gedacht, da wird auch schon das Dessert aufgetischt.
Es bleibt daher selten Zeit, den Mundinhalt jeweils regelkonform zu zerkauen. Irgendjemand steht immer hinter mir - entweder um Essen zu reichen, Teller abzuräumen oder um zu warten, bis ich fertig gegessen habe. Es gelingt mir gut, das gar nicht zu ignorieren und ich frage mich, ob es den Herrn nach menschlicher Stopfleber gelüstet. Gewohnt, in der vergleichbaren Geschwindigkeit zu essen, mit der Koalas tagsüber flüchten, bleiben mir nur zwei Optionen: Entweder die Teller äthiopisch füllen oder die jeweiligen Portionen ohne zu kauen als Ganzes herunterschlingen und sowohl Magen als auch Rectum zu bitten, sich erst später zu beschweren. Der Magen trägt's bisher erstaunlich gelassen, das Rectum dagegen ruft nach der nächsten Klimakonferenz. Und mit jeder Mahlzeit komme ich dem Heiligen Stuhl ein Stückchen näher.
Ist der letzte Teller abgeräumt, läutet der Abt wieder die Glocke und alle stehen auf, um hinter ihren Sitzplätzen Aufstellung zu nehmen. Es schellt noch einmal und der Tischleser singt oh Lord have mercy on us, was alle, außer anwesenden Atheisten, prompt mit einem aaaamen quittieren. Abschließend folgt noch ein kurzes Gebet durch den Abt und endet beispielsweise mit " ... and now that you have restored our strength, help us to serve you until the day ends. Amen".
Dann verschwinden sofort alle, als sei der Pontifex persönlich mit dem Klingelbeutel hinter ihnen her. Ein Mönch aber bleibt und lädt die Gäste noch auf einen Kaffe oder einen Port ein. Für mich eine der seltenen Gelegenheiten, überhaupt einmal mit Mönchen sprechen, da diese ansonsten schwer beschäftigt sind und zudem von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens schweigen. Meine Arbeit erledige ich jetzt immer vormittags, um der nachmittäglichen Hitze zu entgehen und nach dem Portwein Muße für ein anschließendes Nickerchen zu haben.
Das Abendessen wird hier Tea genannt und wochentags um 19 Uhr, sonntags um 18.30 Uhr eingenommen. Die Bezeichnung reizt mich nicht einmal mehr zu einem angemessenen Kommentar - was ich kaum glauben kann. Der Ablauf ist fast dergleiche wie mittags. Es gibt jetzt allerdings kein richtiges Dessert mehr, sondern bloß etwas Obst auf die Kralle. Mit der necrology fröhnen die Mönche zudem einer schönen Sitte, bei der sie am Ende jedes Abendmahls ihrer Benediktinerbrüder gedenken, die am folgenden Tag in den vergangenen 150 Jahren weltweit verstorbenen sind und dazu vom Tischleser sämtlich namentlich genannt werden.
Da bin ich doch froh, in der Schule Alt-Griechisch gehabt zu haben. Das hilft mir jetzt enorm weiter. Ohne das wäre ich nie darauf gekommen, dass das Wort necrology etwas mit dem Tod zu tun hat. Latein als erste Fremdsprache war ja sowieso ein Gottesgeschenk. Ich würde ansonsten kein Wort verstehen, wenn die Klösterlichen hier so am herummönchen sind. Nach all den Jahren hat das Sitzenbleiben endlich einen Sinn bekommen.
Dann fehlt nur noch das Frühstück, das sie doch tatsächlich Breakfast nennen, obwohl es beispielsweise Lunch heißen müsste, wenn man der bisherigen Logik folgt. Die Mönche bleiben dabei in einem Vorraum des Refektoriums unter sich und zwingen mich ausgerechnet diese Mahlzeit im Frühstücksraum der normalen Gäste einzunehmen. Herrgott hilf! Gerade morgens wäre mir das Schweigegebot am Wichtigsten. Und von "normal" kann bei diesen Gästen sowieso keine Rede sein. Also mache ich mir in Windeseile Toasts und Müsli und verbarrikadiere mich sofort wieder in meiner Stube, wo ich in Ruhe essen und aufwachen kann.
Leser mit katholischem Durchblick müssten in der obigen Schilderung eigentlich über die Verknüpfung "Refektorium" und "Damen" gestolpert sein. In der Tat war dies bisher ein Ding der Unmöglichkeit. Nach seiner Wahl hat seine Pestilenz, Abt John, aber ein paar der starren Vorschriften etwas aufgeweicht und nun auch Weibsvolk in den Saal zugelassen.
Wenn dann gelegentlich noch ein paar scharfe Nonnen auf einen Ausritt vorbeikämen, wäre das Leben als Mönch für Viele vielleicht nicht mehr so unattraktiv.